Eine Schule in das digitale Zeitalter führen

9. April 2019 - Lesezeit: 17 Minuten

Dieser Artikel baut auf meinen Erfahrungen auf und beschreibt, welche Techniken ich angewandt habe.

Wenn du den Blog liest (oder nur die Randspalte beachtet hast), weißt du, dass ich kein gelernter Lehrer bin. Ich bin studierter Wirtschaftsinformatiker. Daher möchte ich dir zuerst einen Einblick in mein Studium in Projektmanagement und Personalführung geben. Ich habe nur die aus meiner Sicht wichtigen Inhalte angerissen und muss zugeben, dass du weder Quellen noch ausführliche Beschreibungen finden wirst. Anschließend schlage ich ein konkretes Vorgehen zum digitalisieren deiner Schule vor.

Motivation-Hygiene-Theorie von Frederick Herzberg

Die folgende Theorie ist nicht unumstritten, illustriert aber eine wichtige Grundidee:

Hygienefaktoren sind Faktoren, welche Unzufriedenheit verhindern. Sind diese vorhanden werde diese als selbstverständlich, aber beim Fehlen als Mangel wahrgenommen.

Beispiele sind:

  • Gehalt
  • Führungsstil
  • Zwischenmenschliche Beziehungen
  • Sicherheit
  • Vereinbarkeit mit Privatleben

Motivationsfaktoren sind Faktoren, welche zu Motivation führt. Das Fehlen führt zu keinem Mangelgefühl.

Beispiele sind:

  • Anerkennung
  • Arbeitsinhalt
  • Verantwortung
  • Selbstverwirklichung

Es entstehen (nach Wikipedia) folgende vier mögliche Situationen:

  • Hohe Hygiene und hohe Motivation: Die Idealsituation, in der Mitarbeiter hoch motiviert sind und wenig Beschwerden haben.
  • Hohe Hygiene und geringe Motivation: Die Mitarbeiter haben zwar kaum Beschwerden, sind aber schlecht motiviert (Söldner-Mentalität).
  • Geringe Hygiene und hohe Motivation: Die Mitarbeiter sind motiviert, haben aber viele Beschwerden. Der Job ist aufregend und herausfordernd, aber die Arbeitsbedingungen sind nicht so gut.
  • Geringe Hygiene und geringe Motivation: Die schlechteste Situation. Unmotivierte Mitarbeiter mit vielen Beschwerden.

Übertragen auf den Einsatz von Medien lässt sich sagen, dass das Herstellen einer guten Arbeitsumgebung mit digitalen Medien nicht zwangsweise zu einer positiven Nutzung führt. Gleichzeitig führt das Fehlen einer guten Arbeitsumgebung zu erheblicher Demotivation.

Projektmanagement

Ein Projekt ist ein “Vorhaben, das im Wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, z.B. Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen, Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben, projektspezifische Organisation”. (DIN 6990)

Projektinitierung

Ist-Zustand

Bevor es losgeht sollte unbedingt der aktuelle Stand erhoben werden. Nicht selten tauchen unbekannte interne Initiativen oder Mittel auf, die den Projektbeteiligten unbekannt waren. Schönstes Beispiel war bei der Bestandsaufnahme der Hinweis auf einen sehr störenden Medienschrank. Es stellte sich heraus, dass in diesen ein nur sehr wenigen bekannter Beamer verschlossen war.

Umfeldanalyse

Das Umfeld des Projektes zu kennen ist entscheidend für den Erfolg. In diesem Kontext muss unbedingt eine Stakeholder-Analyse durchgeführt werden. Dabei werden folgende Attribute erfasst:

  • Name
  • Macht und Einfluss
  • aktuelle Einstellung
  • notwendige Einstellung
  • Interesse / Gewinn
  • Bedenken/ Probleme / Widerstand
  • Wer kann wie überzeugen?

fiktives Beispiel:

stakeholder-tabelle

Daraus lässt sich ein Bubble-Diagramm ableiten:

stakeholder-programm

Umgang mit den einzelnen Quadranten:

  • hoher Einfluss und positive Einstellung - Unbedingt in alle Entscheidungsprozesse einbinden und um Unterstützung bitten. Sonst fährt das Projekt gleich gegen die Wand.
  • hoher Einfluss und negative Einstellung - Unbedingt überzeugen oder mächtigere Gegenspieler finden, die wiederum überzeugen / überstimmen / anweisen können.
  • niedriger Einfluss und positive Einstellung - regelmäßig informieren und ggf. Meinungsbilder einholen
  • niedriger Einfluss und negative Einstellung - von allen Kommunikationskanälen abschneiden. Diese Gruppe schadet deinem Projekt und bindet unnötige Energie. Sei dir hier bei der Eingruppierung aber sehr sicher.

Soll-Zustand

Was ist ein gutes Ziel? Ein gutes Ziel ist SMART:

  • Spezifisch - so präzise wie möglich,
  • Messbar,
  • Attraktiv - positive Ziele,
  • Realistisch - es muss auch tatsächlich schaffbar sein,
  • Terminiert

Projektplanung allgemein

Phasenplanung

Gerade bei der Veränderung der technischen Ausstattung von Schulen muss in langen Zeiträumen gedacht werden. Eine grobe Planung kann hier helfen:

phasenplan

Phasen sollten sich klar voneinander abgrenzen lassen. Dafür ist ein definierter Start und ein klares Ende notwendig. Bauen Phasen unmittelbar aufeinander auf, so sollte dies auch kenntlich gemacht werden. So kann etwa eine neue Schulverwaltungssoftware erst eingeführt werden, wenn die Pilotphase abgeschlossen ist.

Projektstrukturierung

Einzelne Aufgaben sollten in Arbeitspakete zerlegt werden. Diese haben immer einen klaren Aufbau:

Eine Form könnte etwa so ein:

Arbeitspaket 1
Aufgabe: Das Haus mit einer Abrissbirne zum Einsturz bringen
Dauer: 4 Stunden
Termin 3. Mai 2020
Verantwortlicher: Baggerfahrer

Bei kleinen Projekten geht das oft intuitiv. Wird das Projekt größer solltest du einen Projektstrukturplan (PSP) erstellen.

Dieser Punkt hört sich trivial an, ist aber elementar. Ich habe in einer Firma gearbeitet, da hieß es in Besprechungen oft Das sollten wir mal in Angriff nehmen. Meine Teamleiterin hat dann erst alle gehen lassen, wenn klar war wer und bis wann dies nun tatsächlich in Angriff nimmt. Ohne Verantwortung und Fristen lässt sich ein Projekt nicht realisieren.

Projektorganisation

Ein Projekt hat einen Projektleiter, -inhaber und -mitarbeiter

  • Projektleiter - Fällt Entscheidungen und darf Anweisungen geben. Er ist für das Gelingen verantwortlich. Repräsentiert das Projekt nach Außen.

  • Projektinhaber - Hält das Budget des Projekts, bestimmt den Projektleiter und lässt sich regelmäßig berichten, um ggf. von außen gegensteuern zu können.

  • Projektmitarbeiter - Einzelne Kollegen werden zu einem definierten Umfang dem Projekt zugeordnet. Dafür müssen diese von anderen Aufgaben befreit werden.

Kostenplanung

Welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung? Neben dem oft sehr begrenzten Schulbudget stehen noch weitere Mittel zur Verfügung:

  • Förderprogramme verschiedener Organisatoren
  • Schulverein
  • Sponsoren
  • gesonderte Budgets des Schulträgers (Instandhaltung, Renovierung)

Projektumsetzung und -steuerung

Statusberichte sollten möglichst kompakt, dafür aber regelmäßig an zentraler Stelle zusammenlaufen, damit alle am Projekt beteiligten den Überblick behalten.

Projektabschluss

Projekte sollten klar abgeschlossen werden. Feiert den Abschluss ordentlich und erklärt die Aufgabe auch für beendet, dass alle damit abschließen können.

Einführungsprojekte

Einführungsarten

  • Big Bang - Einführung erfolgt von einem Tag auf den anderen. Muss besonders gut vorbereitet werden, da Fehler katastrophale Folgen haben können. Aufwand ist im Erfolgsfall am geringsten. Das WLAN wird angeschalten und steht sofort allen zur Verfügung.

  • Pilot - Neue Technik / neuer Prozess wird zuerst an ausgewählter kleiner Zielgruppe bzw. Anwendungsfall getestet. Erst danach erfolgt eine flächendeckende Verwendung. So können einzelne Kollegen schon moodle testen, ehe es für alle freigegeben wird.

  • Iterative Einführung - Es werden einzelne Prozessschritte nach und nach ersetzt. So kann etwa die Stundenplansoftware ersetzt und später der analoge Aushang abgeschafft werden.

Schulungen

Neue Technik und Prozesse sind vollkommen nutzlos, wenn diese nicht von allen Mitarbeitern genutzt werden können. Dafür müssen unbedingt Schulungen angeboten werden:

Vorbereitende Schulungen - Schon vor der Einführung müssen Schulungen zur grundlegenden Konzepten angeboten werden. Unter Umständen müssen zusätzlich notwendige Basiskompetenzen vermittelt werden (Etwa beim Einführen von moodle davor das Thema Urheberrecht und Cybermobbing vermitteln).

Begleitende Schulungen - Zu Beginn der Nutzung kommen erfahrungsgemäß neue Fragen auf, welche möglichst zentral zu Beginn aber nach der Einführung besprochen werden sollten.

Wartung und Support

Einer der Hauptgründe warum Prozesse nicht mehr eingehalten werden oder Technik ungenutzt rumsteht, ist das nach der Einführung sich niemand mehr darum kümmert.

  • Technik muss gewartet also in Ordnung gehalten werden.

  • Besonders neue Kollegen benötigen einen Ansprechpartner bei Fragen.

Außerbetriebnahme

Bestehende Prozesse und Technik müssen planvoll außer Betrieb genommen werden:

  • Überarbeitung - eine Möglichkeit ist es den Prozess nur zu überarbeiten. Das sollte aber dennoch wie eine Neuentwicklung betrachtet werden. Methoden, um zu ermitteln, was geändert werden sollte, ist etwa der DMAIC oder der PDCA-Cycle.
  • Ersatz von Technik. Es muss sichergestellt werden, dass alte Anwendungsfälle weiterhin abgedeckt werden bzw. die Kollegen entsprechend geschult und rechtzeitig informiert wurden.

In den richtigen Dimensionen der Mediennutzung denken

Sobald Informationen übertragen werden sind Medien im Spiel. Auch die Stimme oder ein missbilligender Blick kann als Medium verwendet werden.

Folgende Dimensionen lassen sich zweckmäßig unterscheiden:

  • Verwaltung (Schulleitung und Sekretariat) - Dieser Bereich wird i.d.R. vom MPZ abgedeckt, dennoch kann es sich lohnen diese auf die gleiche Toolunterstützung wie die Verwaltung (Schulleitung und Sekretariat) - Lehrer Kommunikation zu stellen, um Synergieeffekte zu stärken.
  • Verwaltung (Schulleitung und Sekretariat) - Lehrer
    • Wie informiert die Verwaltung das Kollegium?
    • Wie erreichen Lehrer die Verwaltung?
  • Lehrer - Lehrer - Wie können sich Kollegen innerhalb von Fächern, Fachgruppen oder in einzelnen Projekten abstimmen?
  • Lehrer - Schüler
    • Wie können Lehrkräfte ihre SchülerInnen informieren bzw. Material verteilen
    • Wie werden Medien im Unterricht eingesetzt, welche Ziele können / sollen damit erreicht werden.
    • Welche Voraussetzungen kann eine Lehrkraft beim Umgang mit Medien bei den SchülerInnen voraussetzen?
    • Wie können SchülerInnen ihre Lehrkräfte erreichen oder Arbeiten abgeben?
  • Schüler - Schüler - Dies ist oft nicht im Fokus, schön wäre es natürlich dennoch, wenn ein geschützter Raum durch die Schule entstehen würde, wo die SchülerInnen untereinander kommunizieren könnten.

Vorschlag zur Digitalisierung deiner Schule

Bevor du beginnst, versuche dich zu vernetzen. Es ist vollkommen unnötig das Rad neu zu erfinden. Oft hat schon die Nachbarschule gute Ideen oder eine Schule in einem anderen Bundesland hat schon vor dir ausprobiert, ob Fernseher anstelle von Beamern funktionieren.

Gute Einstiegspunkte sind:

Beginne mit einem Konzeptionsprojekt. In diesem Projekt wirst du wie es der Name sagt nur ein Konzept entwickeln und noch nichts umsetzen. Als Projektbeteiligte benötigt es notfalls nur dich. Schön wäre es natürlich, wenn du noch einige Mitstreiter findest. Je mehr Mitglieder der erweiterten Schulleitung involviert sind, desto leichter wird es.

Du musst ganz klar zwischen Verwaltung und Unterricht unterscheiden:

  • Unterricht - Hier darf man den Kollegen nicht reinreden. Entweder sie nutzen die neue Technik oder nicht. Auch gut. Was wir machen können sind Angebote.
  • Verwaltung - Normalerweise macht die Leitung hier eine Vorgabe, die dann in der gesamten Organisation genutzt wird. Leider gibt es viele Schulen / Bundesländer, wo die Schulleitung nicht mal die Nutzung von dienstlichen Mailadressen anweisen kann.

Rahmenbedingungen für den Unterricht an einem Beispiel schaffen: Du hast zu wenige mobile Beamer, welche umständlich aufgebaut werden müssen. Aus Hygiene-Sicht führt die mangelnde Verfügbarkeit und umständliche Handhabung zu Demotivation und Beschwerden. Gleichzeitig kann der Unterricht dadurch mehr den Wünschen der Lehrperson entsprechen, sodass einzelne Kollegen den Aufwand in Kauf nehmen, da sie so ihren Unterricht verwirklichen können.

Obwohl der eigentliche Unterricht nicht bewertet werden kann, können folgende Ziele angestrebt werden:

  • Verfügbarkeit - Technik muss in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen.
  • Verlässlichkeit – Technik muss einsatzbereit sein.
  • Handhabbarkeit - Technik muss mit möglichst wenig Aufwand nutzbar sein.
  • Planbarkeit – ein Lehrer muss seine Stunden langfristig planen können. So muss ein Smartboard bzw. Beamer immer und nicht nur in einzelnen Stunden zur Verfügung stehen, um den Unterricht darauf ausrichten zu können

Ohne Handhabung neue Verwaltungsvorgänge durchsetzen: Hier ist das Zauberwort Nudging. Man kann jetzt argumentieren, dass das nicht ganz fair ist, aber den Schulleiter notwendige Kompetenzen vorzuenthalten ist nicht nur nicht fair sondern auch hinderlich. Hier ein paar einfache Beispiele:

  • Die Kollegen wollen die Dateiablage nicht nutzen? Dann Formulare online stellen und die analogen Kopiervorlagen gut im Lehrerzimmer eingraben.
  • Niemand liest Mails? WLAN-Passwörter gibt es nur noch ins Postfach.
  • Tablets sind super? Dann sollten diese als Ressource nur noch digital gebucht werden können.
  • Der Schulhof wird neu gestaltet? Anstelle einer Diskussion nach dem Motto Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von mir, findet diese jetzt in einem Forum und per Umfrage statt.

Die grundlegenden Ideen sind da und du überlegst, wie du starten könntest? Dann lies dir noch einmal den Abschnitt zu Projektmanagement durch und versuche dich möglichst stark daran zu halten. Jede neue Technik oder Umstellung eines größeren Prozesses ist ein eigenes Projekt.

Achte bei allen Entscheidungen auf das Dagstuhl-Dreieck

  • Gesellschaftlich-kulturelle-Perspektive - Wie wollen wir unterrichten bzw. arbeiten?
  • Anwedungsorientierte Perspektive - Wie nutzen wir die Technik ganz konkret?
  • Technologische Perspektive - Wie funktioniert die Technik?

Im Unterricht ist es sehr wichtig nicht nur die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik und die Bedienung zu schulen, sondern auch zu erläutern wie die Technik funktioniert. Ohne einen solchen Einblick bleiben die Anwender unmündig und laufen ohne Verstand dem nächsten Hype hinterher. Das kann in der Schule nur ein Pflichtfach Informatik für alle leisten.